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19. Januar 2022 BZ Weniger Spritzmittel im Weinberg

    In den Weinbergen am Kaiserstuhl soll es weniger Chemie geben – und mehr Arten

    Von Dirk Sattelberger Mi, 19. Januar 2022 um 16:19 Uhr Breisach | 3

    Winzer brauchen seit 1. Januar eine Genehmigung, um ihre Reben in Naturschutzgebieten mit Pflanzenschutzmitteln zu behandeln. Pilzwiderstandsfähige Weine stellen eine Alternative dar.

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    Seit 1. Januar dürfen Winzer ihre Reben im Naturschutzgebiet nur noch mit einer Ausnahmegenehmigung spritzen. Nach Einschätzung des Naturschutzbundes (Nabu) erhalten betroffene Winzer zwar problemlos eine Erlaubnis für 117 Pflanzenschutzmittel. Für die Umwelt ist es in den Augen des Nabu-Landwirtschaftsexperten Jochen Goedecke aber sinnvoller, auf diese Mittel ganz zu verzichten.

    Der Hintergrund

    Das Gesetz zur Stärkung der Biodiversität sieht laut Nabu vor, dass künftig 40 bis 50 Prozent weniger Pestizide in der Landwirtschaft gespritzt werden. Das Ziel soll bis zum Jahr 2030 erreicht sein. Das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten ist aber weiterhin erlaubt, wenn ein Winzer dort Reben hat und eine Ausnahmegenehmigung erhält. Die ist laut Nabu-Experte Jochen Goedecke erhältlich, wenn der Winzer sonst in eine wirtschaftliche Schieflage kommt. Das Regierungspräsidium Freiburg erlaube dann die Verwendung von 117 Mitteln im Weinbau und 75 im Obstbau, falls die Pflanzen in Naturschutzgebieten stehen. Bei den Nabu-Naturtagen wurde jetzt gezeigt, wie nach Ansicht von Bio-Winzern auf Spritzmittel verzichtet werden kann.

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    Pilzwiderstandsfähige Rebsorten

    „Wir sehen diese Ausnahmeregelungen im Obst- und Weinbau kritisch. Man kann zum Beispiel schnell auf Herbizide verzichten“, sagt Jochen Goedecke vom Nabu zu Unkrautbekämpfungsmitteln. Er geht davon aus, dass diese Erlaubnisse fünf Jahre lang gelten und anschließend erneut erteilt werden. Dass es auch anders gehen kann, nämlich ohne Chemie, legte das Weingut Johannes Kiefer aus Eichstetten jetzt bei den Nabu-Naturschutztagen dar. Dort wird Pilzen, Kraut und schädlichen Insekten anders begegnet. Ziel sei es, sowohl die Widerstandskraft der Weinpflanzen zu stärken, als auch ihre Umgebung, etwa mit blütenreichen Pflanzen. In sehr seltenen Fällen werden Mittel wie Backpulver eingesetzt.

    „Jede rodungsreife Rebanlage könnte mit Piwi-Sorten bestockt werden.“ Barbara Kiefer

    Die größte Rolle aber spielten die pilzwiderstandsfähigen Weinsorten, sogenannte Piwi. Sie wurden unter anderem in Freiburg gezüchtet und sind bekannt als Souvignier Gris, Johanniter oder Solaris. Barbara Kiefer, die Mutter des Eigentümers, sagt im Pressegespräch: „Jede rodungsreife Rebanlage könnte mit Piwi-Sorten bestockt werden.“ Das könne über die sogenannte Umstockungsprämie gefördert werden.

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    Im Familienweingut stünden die Rebstöcke mit größerem Abstand zueinander, damit sie besser belüftet werden. Johannes Kiefer findet, dass diese Rebsorten gut in Cuvées passen. „Jeder Wein kann weinrechtlich mit bis zu 15 Prozent Piwi-Wein verschnitten werden. Der restliche Wein kann über bestehende Cuvées ohne Rebsortenangabe verkauft werden“, sagt Johannes Kiefer.

    Zurückhaltende Kunden

    Doch wenn ein Umstieg machbar ist, warum setzen dann so viele Winzer auch im Kaiserstuhl auf konventionelle Methoden und damit auf Spritzmittel? Tatsächlich haben die Winzergenossenschaften überwiegend altbekannte Sorten im Angebot, auch weil sie bei den Kunden gut ankommen. Nabu-Experte Jochen Goedecke glaubt, dass die Kunden die Möglichkeit erhalten sollen, Piwi-Wein kaufen zu können. „Hier sollte der Staat helfen, sonst ist es mit der Akzeptanz schwierig.“ Barbara Kiefer geht davon aus, dass die Kunden durchaus „etwas Neues wünschen“. Ertragseinbußen bei der Weinlese sehen die Öko-Winzer nicht (rund 120 Kilogram pro Ar).

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    Rückkehr der Insekten

    Was passiert in der Natur, wenn auf die weit verbreiteten Pflanzenbehandlungsmittel verzichtet wird? Die Kiefers haben es gemerkt, nachdem sie 2007 ihr Weingut gegründet haben: Mehr Insekten fliegen umher. „In den ersten zwei Jahren kommen Generalisten wie Langkornbienen, Heuschrecken und Florfliegen, später Bordwanzen und Gottesanbeterinnen“, sagt Johannes Kiefer. Ein alleiniger Verzicht auf Chemie werde aber die Wende zu mehr Artenreichtum nicht bringen. Nötig sind in seinen Augen auch mehr Kräuter, Gräser und heimische Einsaaten auf renaturierten Rebböschungen.

    Den Vortrag der Kiefers „Weinbau ohne Pestizide – Wie geht das?“ gibt es bei youtube.com, ihre Tipps im PDF-Format unter: mehr.bz/ohnepestizide

    Im ursprünglichen Text war die Rede davon, dass auch Glyphosat auf Antrag in Naturschutzgebieten zum Einsatz kommen kann. Der Badische Weinbauverband weist darauf hin, dass die im Text genannte Liste mit Pflanzenschutzmitteln glyphosathaltige Mittel in Naturschutzgebieten explizit verbiete. „Beim Regierungspräsidium Freiburg wurden folglich auch keine Ausnahmen zur Anwendung von glyphosathaltigen Mitteln erteilt“, schreibt der Badische Weinbauverband.Wir haben den Artikel entsprechend korrigiert.

    Ressort: Breisach